Über das Forschen und Erforschtwerden

Unglaublich, wie schnell die Zeit hier verfliegt beim Forschen!
Ich komme gar nicht hinterher mit meinem Forschungstagebuch und all den Kontakten, die ich noch bekommen habe, geschweige denn Interviewtranskripten. Ich habe nun zwar schon einige höchst interessante Ergebnisse zu meinem Thema gefunden, bin mir aber sicher, dass ich noch gut und gerne Monate hier verbringen könnte, um es wirklich zu durchdringen. Schade, aber die Zeitbegrenzung war ja von vornherein klar und so muss ich eben einmal wieder kommen und weitermachen.

Forschen ist also ein Vollzeitjob. Das hatte ich mir schon so ähnlich vorgestellt, bevor ich nach Jogja kam, aber wie stark man als Forscherin selbst erforscht wird und eine wie große Rolle Zufälle und Spontaneität spielen, habe ich ein bisschen unterschätzt. Dabei ist das oft mindestens so spannend wie geplante Aktionen und erwartete Ergebnisse. Ständig werde ich hier überraschend zu irgendwelchen Events oder Interviews eingeladen, während ich genau so oft auf eine Verabredung warte, die dann ausfällt. Da wird meine Flexibilität manchmal ziemlich herausgefordert.

Gerade die zufälligen Erlebnisse sind dabei oft diejenigen, die mich am stärksten weiterbringen. So habe ich mir neulich einen Samstag-Abend freigenommen, um mich mit anderen aus meiner Forschungsgruppe in DER Touristenstraße zu treffen und in eine für viele IndonesierInnen ziemlich fragwürdige Bar zu gehen, in der die meisten Leute Alkohol trinken und viele Frauen kurze Kleider und Ausschnitte tragen. Ich hatte nämlich mal Lust, was richtig Touristisches ohne Forschung zu machen. Meine Forschungspartnerin und -partner würden wohl eher nicht in diese Bar mitkommen. Sie trinken beide keinen Alkohol und gehen nicht in solche Bars oder in Clubs. Bereits im Taxi habe ich mich ein wenig geschämt, als der Taxifahrer gleich fragte, ob wir in diese Straße wollten und wir das Klischee so bestätigen mussten (so viel zum Erforschtwerden).  Mit ein paar ForschungspartnerInnen von der UGM, die dem Nachtleben gegenüber eher offen sind, und einer Reggae-Band wurde es ein sehr netter Abend. Gegen später, als geschlossen wurde, setzten wir uns noch ein bisschen auf einen kleinen Platz, um uns zu unterhalten. Und dort lernte ich einen jungen Mann kennen, der sich im Gespräch als Künstler herausstellte, der sich mit einer politischen Künstlergruppe schon seit einigen Jahren ausgerechnet mit dem Thema der indonesischen Arbeitsmigration befasst. Diese Gruppe organisierte schon mehrere Ausstellungen und arbeitet eng mit einer Organisation zusammen, die auch direkt ArbeitsmigrantInnen berät. Jackpot! Dass dieser Typ ausgerechnet da auf der Straße saß und wir ins Gespräch kamen! Seitdem haben wir jedenfalls eine höchst interessante InformantInnen-Gruppe dazugewonnen, von der ich mir nach dem ersten Interview sehr viel verspreche.

Ein anderes lustiges Beispiel der spontanen teilnehmenden Beobachtung ereignete sich vor wenigen Tagen, als ich gemeinsam mit meinen ForschungspartnerInnen, Jana und meiner Mutter eine touristische Wayang-Kulit-Vorführung besuchte. Nach gut anderthalb Stunden des Zuschauens, winkte mich einer der Orchestermusiker plötzlich zu sich und bedeutete mir, ich solle mich neben ihn setzen. Ich dachte, damit ich besser sehen könne und wollte erst nicht, aber er winkte immer wieder her. Also setzte ich mich schließlich neben ihn und er sagte mir in Zeichensprache, ich solle mitspielen – einfach das gleiche Alle Musiker mit Blümchenmuster..machen wie er. Also war ich das letzte Viertel über Teil der Performance. Und dafür, dass ich noch nie Gamelan gespielt hatte, war es vielleicht nicht mal ganz schlecht. Aber ich würde es gern lernen. Interessant war außerdem, dass außer uns am Ende der Aufführung nur noch zwei andere ZuschauerInnen da waren. Alle anderen scheinen mit Wayang Kulit nicht so viel angefangen zu haben.

Genau so interessant wie das Forschen ist aber das Erforschtwerden. Besonders gut gefiel mir dabei das Erlebnis, das ich in Taman Sari, dem Wasserschloss hier, hatte. Dort wurden meine zukünftige Mitpraktikantin Mareike und ich plötzlich von einem etwa 15-jährigen Mädchen angesprochen. Ich erwartete, dass sie das übliche Touristenfoto mit zwei hellhäutigen und -haarigen Frauen machen wollte, aber diesmal ging es um etwas anderes: „Do you speak Germany?“ war die Frage. Es stellte sich heraus, dass wir auf eine Deutsch-Highschool-Klasse gestoßen waren, die uns interviewen wollte. Wir beantworteten also brav den Fragebogen. „Haben Sie schon lange in Jogja gebleiben?“ – „einen Monat“ – „Habe Sie in Jogja schon einmal gegessen?“ – „Kalau saya tidak makan, nanti saya lapar“ (Wenn ich nichts essen würde, wäre icNach dem Interviewh wahrscheinlich ziemlich hungrig) – die ganze Klasse lacht; „Was Hoffnungen haben Sie für Jogja?“ – „Ähm (Pause, so gut kenne ich mich doch noch gar nicht aus) bessere öffentliche Verkehrsmittel?“ – „Vielen Dank“. In vorbildlicher ForscherInnen-Manier bekam ich ein Geschenk in die Hand gedrückt (ein ziemlich kitschiges Bild, über dem „Jogja“ steht)  Und dann die unumgänglichen Fotos zum Abschied.
Das war besonders deswegen eine schöne Erfahrung, weil die Mädchen (und Jungs, die sich aber sehr im Hintergrund hielten) ja wirklich mit uns sprechen wollten. Oft sind wir schon so genervt vom ewigen Fotographiertwerden, dass wir gar nicht mehr stehen bleiben. Hätte ich in diesem Moment, oder auch in der oben beschriebenen Situation mit dem Künstler, einfach ein Gespräch verweigert, wären mir zwei schöne und eine hilfreiche Begegnungen entgangen.

Solche konkreten Ereignisse sind natürlich die Ausnahme, aber trotz aller Ankündigungen im Voraus hatte ich mir – vielleicht ein bisschen naiv – das Interesse an meiner Person und an mir selbst als Repräsentantin einer deutschen/europäischen/“westlichen“ Kultur nicht so stark vorgestellt. Die besondere Aufmerksamkeit aufgrund der Herkunft und dass sich auf der Straße plötzlich Fremde mit einem unterhalten wollen, kenne ich zwar schon aus anderen Ländern, aber dass sich auch in Interviewsituationen teilweise die Situation so stark umdrehen würde, dass man nicht mehr sicher sein kann, wer denn eigentlich das Interview führt, konnte ich mir nie vorstellen. Trotzdem kommt das vor – und zwar gar nicht so selten. Zum Beispiel hatten meine Forschungspartnerin Afina und ich gestern ein Interview mit einer feministischen Aktivistin, die mich zwischendrin erst mal ausgiebig über meine Meinung ausfragte und dann alles über unseren eventuellen Beziehungen wissen wollte, um sicher zu gehen, dass wir uns nicht von irgendwelchen Männern fernbestimmen lassen. Sie meinte, in unserem Alter sollen wir erst mal die Welt kennen lernen und viel erleben, bevor wir zu viele Kompromisse eingingen. Danach zeigte sie uns Fotos von den Aktionen der studentischen Gruppen, in denen sie während des Suharto-Regimes aktiv war. Das ganze nennt sich in der Fachsprache dann wohl „informelles Gespräch“ und für den Moment und mein aktuelles Forschungsthema bin ich der Überzeugung, dass das eine großartige Methode ist. Manchmal erfährt man auf diese Art so unglaublich viel mehr als mit einem gut vorbereiteten Interviewleitfaden, dass es schon fast erschreckend ist, wenn man bedenkt, wie viele Gedanken man sich manchmal über die ‚richtige‘ Methode macht.

Diese und ähnliche Situationen waren für mich eine Art Schlüsselerlebnis: Wenn man selbst zum Forschungsobjekt wird, wenn man danach weiter darüber nachdenkt, was man gefragt wurde und wie man wohl vom Gegenüber wahrgenommen wurde, beginnt man, insgesamt anders über sich selbst nachzudenken und die Forschung wird teilweise zu einer Selbsterforschung. Das macht Spaß und ist überaus lehrreich!

Hello, Traffic Jam!

Liebe Leserinnen und Leser,

nun bin ich schon fast vier Wochen in Indonesien und habe bisher keinen einzigen Blogeintrag verfasst. Das tut mir insbesondere für diejenigen leid, denen ich versprochen hatte, bald nach meiner Ankunft etwas zu erzählen. Aber leider habe ich es neben allem, was hier anstand – die Bewältigung eines Jetlags, ein Sprachkurs, eine Hausarbeit über Maori-Feminismus in Neuseeland, diverse e-Mails, eine Feldforschung, eine Stadterkundung, viele interessante Menschen kennenlernen etc. – einfach abends nicht mehr auf die Reihe gekriegt. Jetzt aber, wie versprochen, Eindrücke aus Indonesien, genauer gesagt, Yogyakarta.

Yogya ist eine an sich wunderschöne Stadt mit viel Kunst und Kultur, aber auch Natur, und leider zu vielen Motorrädern und Autos. Die Verkehrslage scheint zwar immer noch wesentlich besser als in der Hauptstadt, Jakarta, zu sein, aber trotzdem ist der Straßenverkehr, besonders zu Stoßzeiten, absolut nicht angenehm. Eigentlich würde ich heute viel lieber etwas über Kunst schreiben, da ich eigentlich vorhatte, mit meiner Freundin und Forschungskollegin Jana in eine Ausstellung mit dem vielversprechenden Titel „XXL. State of Indonesian Art“ zu gehen, aber leider wird daraus nichts, da ich über Verkehr schreiben muss. Wir hatten geplant, den städtischen Bus, Transjogja, zu nehmen. Gesagt, getan: Zunächst mussten wir bis zur nächsten Haltestelle eine Dreiviertelstunde laufen. Dort kauften wir uns ein Ticket und warteten. Und warteten. Und warteten. Es kam kein Bus (leider im Stau…). Warten…Warten wir schon eine Stunde? In fünf Minuten nehmen wir ein Taxi! Der Bus! Voll… Warten. Der nächste Bus! Immerhin, hier durften wir mitfahren. Der Bus wurde immer voller und beim Umsteigen schien sich das gleiche Spiel anzubahnen. Also auf ins Taxi. Der Fahrer kannte den Weg leider nicht und verfuhr sich ein paar mal, bis wir schließlich ankamen und… die Gallerie geschlossen hatte. Auf der Website hatten die falschen Angaben gestanden. Daher der Bericht zur gegenwärtigen indonesischen Kunst erst in ein paar Tagen, die Hoffnung habe ich noch nicht aufgegeben..

Was aber an der Geschichte wirklich ernst ist: Sie bedeutet, dass diejenigen, die sich kein Moped oder gar Auto leisten können, völlig aufgeschmissen sind. Dann können sie nämlich auch kein Taxi, Ojek (Motorradtaxi) oder Becak (eine Art Rikscha) bezahlen. Also müssen sie den wirklich sehr günstigen Bus nehmen und der hat absolut kein funktionsfähiges System. Natürlich gibt es auch noch andere Buslinien, aber die sind nicht unbedingt besser. Eigentlich gilt Transjogja als äußerst zuverlässig. Wir wollten vorher ja nur zu unserem Vergnügen mit dem Bus fahren und hätten uns auch ein Taxi leisten können, aber was mit den Menschen, die einen Termin haben oder arbeiten müssen? Die können doch nicht immer drei Stunden früher von zu hause losgehen…

Yogya hat also ein Problem (das übrigens in ganz Indonesien zu finden ist): Wenn es so weitergeht und sich immer mehr Menschen einen Roller kaufen, sobald sie sich einen leisten können, wird der Verkehr noch dichter, die Umweltverschmutzung noch verheerender, die Luft noch schlechter und der Straßenlärm noch größer. Bislang scheint dieses Problem allerdings nur als ein externes wahrgenommen zu werden, das Ausländer*innen von Yogya fernhalten könnte. Da kann man nur hoffen, dass die zuständigen Behörden erkennen, wie wichtig zuverlässige öffentliche Verkehrsmittel wären. Bisher scheint leider noch nichts in Aussicht.. Eine gute Nachricht ist zumindest mal, dass anscheinend immer mehr junge Leute ihren Roller gegen ein Fahrrad als billigeres, umweltfreundlicheres und sichereres Transportmittel austauschen – immerhin fuhr vor gut 20 Jahren, wie ich gehört habe, noch ein Großteil der Bevölkerung in Yogya Fahrrad. Ich werde mir jetzt auch eins holen, damit ich nicht immer auf irgendwas warten muss… Anscheinend gibt es, wie ich heute festgestellt habe, sogar Fahrradstraßen hier. Fast wie in Freiburg…

Fahrradstraße in Yogya

Das scheint jetzt vielleicht ein bisschen negativ für einen ersten Eintrag, aber das soll nicht als Unzufriedenheit mit meinem Leben in Yogya verstanden werden. Im Gegenteil – ich erlebe hier sehr viele schöne Dinge und lerne nette Menschen kennen. Davon mehr im nächsten Eintrag, versprochen!